Was es mit dem Foto des Brautpaars im Grenzmuseum auf sich hat…

Ein ganz besonderes Foto bildet den Mittelpunkt im großen Ausstellungsraum des Grenzmuseums Böckwitz-Zicherie. Auf dem Bild zu sehen ist ein Brautpaar, wie es nach Böckwitz schaut. Dort steht die Brautmutter – nicht weit weg, aber doch unerreichbar, denn dazwischen verläuft die bewachte Grenze mit Stacheldraht und Kontrollstreifen. 

Bekannte Fotografie: Das frisch vermählte Ehepaar Dreher steht auf Zicherier Seite, die Brautmutter gegenüber in Böckwitz – dazwischen verläuft die Grenze.
Oktober 1959: Das frisch verheiratete Brautpaar Dreher an der Grenze in Zicherie. Auf Böckwitzer Seite steht die Brautmutter – nicht weit weg, aber unerreichbar.

Bekannte Fotografie aus dem Jahr 1959

Die markante Installation, die das Bild in Szene setzt, wurde vor zwei Jahren von Marius Förster erstellt – mehr dazu unter diesem Link. Während der Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit im Grenzmuseum ging Renate Bartels aus dem Museums-Team vor den Besuchenden auf das bekannte und wohl eindrucksvollste Foto der Ausstellung ein.

Die Geschichte zu dem Foto ist übrigens vielerorts nachzulesen: zum Beispiel hier in einem Artikel der Klötzer Volksstimme sowie hier in der Gifhorner Rundschau oder hier in der Aller-Zeitung/Wolfsburger Allgemeine.

Entstanden ist das Bild im Oktober 1959 an der damaligen innerdeutschen Grenze zwischen Böckwitz und Zicherie. Braut und Bräutigam sind Gertrud und Hugo Dreher, die heute im Wolfsburger Stadtteil Barnstorf leben. Bei einem Besuch im Grenzmuseum an ihrem 64. Hochzeitstag vor zwei Jahren in kleiner Runde hatten Drehers von der Situation damals berichtet, sagte Renate Bartels in Richtung der Zuhörerschaft. 

Gertrud und Hugo Dreher im Oktober 2024 bei einem Besuch des Grenzmuseums Böckwitz-Zicherie vor dem bekannten Foto.

Die Brautmutter sieht den Schwiegersohn zum ersten Mal an der Grenze

Gertrud Dreher, geborene Kuhn, wuchs in Böckwitz auf. Als junge Frau fand sie Arbeit im nahegelegenen niedersächsischen Vorsfelde, ebenfalls ein Stadtteil von Wolfsburg, und zog zu ihrer Schwester. Auch Hugo Dreher, der aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, verließ die DDR und kam nach Wolfsburg. Bei einer  Tanz-in-den-Mai-Veranstaltung in Weyhausen lernten sich die beiden kennen und verliebten sich. Bald darauf sollte geheiratet werden. 

Doch die Grenze zwischen der BRD und der DDR war damals bereits dicht.  Auch für Gertruds Mutter Wilhelmine gab es keine Möglichkeit mehr, ihren künftigen Schwiegersohn kennenzulernen. Wie sich die Grenze zwischen Böckwitz und Zicherie  damals entwickelte, kann im Blog „Bromer Geschichte“ von Jens Winter unter diesem Link gut nachvollzogen werden: Geschichte der Grenzsperranlagen in Zicherie (1945 bis 1961).

Kein Wort gesprochen

Am Vormittag ihrer kirchlichen Trauung hatten die beiden eine Idee: Sie schickten ein Telegramm nach Böckwitz, in dem sie einen Zeitpunkt für ein Treffen an der Grenze nannten. Eine Antwort bekamen sie nicht. Doch als das frisch verheiratete Paar an der Grenze ankam, stand auf der Böckwitzer Seite tatsächlich Gertruds Mutter – gemeinsam mit Gertruds Schwestern Olga und Emma. Ein Grenzsoldat hatte die drei Böckwitzer unerlaubterweise bis an den sogenannten Zehnmeter-Streifen herangelassen.

 „Als sie sich gegenüberstanden, haben sie nicht ein Wort gesprochen“, erklärte Bartels den interessierten Gästen. Die Braut habe dann Bonbons in ein Taschentuch gewickelt und hinübergeworfen – doch das Päckchen blieb unerreichbar auf dem Zehnmeter-Streifen liegen. 

„Das möchte man sich doch gar nicht vorstellen“

„Mich zerreisst es ehrlich gesagt bei der Vorstellung“, so Renate Bartels in Richtung der Gäste. Auf der einen Seite die Mutter, auf der anderen die Tochter. „Beide können sich nicht herzen, nicht in den Arm nehmen, wie wir es heute können. Das möchte man sich doch gar nicht vorstellen.“ 

Die Eltern oder Großeltern nicht besuchen zu können – „das ist doch unmenschlich“, befand  Bartels. Sie selbst wuchs Jahre später in Böckwitz auf und hat keine guten Erinnerungen an das Sperrgebiet, in dem wegen der Grenznähe besonders starke Einschränkungen galten. „Meine beste Freundin wohnte in Steimke, das lag auch im Sperrgebiet. Ich durfte sie nicht besuchen.“ Als sie 1984 aus Böckwitz wegzog, benötigte sie, um ihre Eltern zu besuchen, „einen verfluchten Passierschein.“ 

Renate Bartels erläuterte vor Besucherinnen und Besuchern die Geschichte zu dem bekannten Bild.

Was das Zusammenwachsen zwischen Ost und West angeht, hatte sie einen Tipp: „Wir müssen miteinander reden“, so Bartels. „Setzt euch an einen Tisch, trinkt eine Tasse Kaffee, esst ein Stück Kuchen und erzählt euch eure Geschichten. Und ihr werdet feststellen, euch verbindet viel mehr, als euch trennt.“

Die Grenze zwischen Zicherie und Böckwitz wurde am 18. November 1989 geöffnet. Gertrud Drehers Mutter Wilhelmine konnte dies noch miterleben. Und vom Ehepaar Dreher entstand viele Jahre später ein weiteres, nicht weniger eindrucksvolles Foto. Auf diesem sitzen die beiden im Grenzmuseum vor der großen Foto-Installation und schauen auf das Bild, auf dem sie selbst zu sehen sind – nämlich am Tag ihrer kirchlichen Hochzeit an der Grenze zwischen Böckwitz und Zicherie.

tgr

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