So kam das Grenzmuseum auf den Schütte-Hof
Das Grenzmuseum Böckwitz-Zicherie ist seit seiner Gründung auf dem Hof der Familie Schütte in Böckwitz untergebracht. Das ist bis heute so – doch wie kam es eigentlich dazu? Darüber gibt nun eine der neuen Informations-Tafeln im Museum Auskunft, mit der kürzlich die Ausstellung erweitert wurde.
Drei neue Info-Tafeln gibt es insgesamt: Eine befasst sich mit dem Schicksal der Böckwitzer Familie Bromann, eine weitere mit der sogenannten „Aktion Ungeziefer“, die dritte zeichnet die Geschichte des Schütte-Hofes nach. Entstanden sind die Tafeln aus einer Zusammenarbeit des Grenzmuseums mit dem Historischen Seminar der Leibniz-Universität Hannover: Marie Holtin, Florentine Pramann und Viktoria Willenborg, alle Master-Absolventinnen der Geschichte, haben sie erarbeitet.
„Es geht darum, die Geschichte des Hofes aus Sicht der Familie zu schildern und den BesucherInnen des Museums den Ort näherzubringen“, erklärte Viktoria Willenborg vor einiger Zeit, als die Tafeln erarbeitet wurden, die Intention.
Aufgewachsen in Böckwitz
Wie das Museum auf den Hof kam? Das klingt zunächst nach einer eher knappen Geschichte. Der im Jahr 2022 verstorbene Willi Schütte entschied sich nach dem Fall der Mauer, auf dem Gehöft ein Museum einzurichten – mit einem landwirtschaftlichen Bereich sowie einem Abschnitt über die Grenzgeschichte insbesondere mit Bezug auf das sogenannte Doppeldorf Zicherie-Böckwitz. Denn: Die Erinnerung an die Zeit der Teilung wollte der Museumsgründer wach halten.
Doch dahinter steckt weit mehr. Willi Schütte, in Böckwitz aufgewachsen, konnte während der innerdeutschen Teilung viele Jahre nicht auf seinen Hof gelangen. Denn er lebte seit seiner Jugendzeit in den 1950er Jahren im niedersächsischen Suderwittingen, musste von der West-Seite mit ansehen, wie sich die Grenzanlagen zwischen Zicherie und Böckwitz immer weiter verstärkten.
Warum Willi Schüttes Familie damals Böckwitz verlies, erklärt die neue Tafel. Dafür interviewten Marie Holtin und Viktoria Willenborg die Schwestern von Willi Schütte, Christa Baumgarten und Magrit Meyer.
Schicksalhafte Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte Willi Schüttes Mutter Dora den Hof, den sie nach dem Tod ihrer Schwiegermutter im Jahr 1950 allein unterhalten musste, ist auf der Tafel unter anderem zu erfahren. Im April 1953 habe Dora Schütte den Hof an die LPG verpachtet. Wie der Info-Tafel zu entnehmen ist, habe sie Sorgen gehabt, „das Ablieferungssoll an den Staat nicht erfüllen zu können und abgeholt zu werden“, heißt es dort.
Wenige Tage später wurde Dora Schütte verhaftet – angeblich wegen „Volksschädigung“ durch Diebstahl. „Dora konnte nicht genügend Kartoffeln erbringen“, erklärt die Tafel. Sie wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Infolge des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953, nach etwas mehr als zwei Monaten in Haft, während dieser die Kinder allein auf dem Hof lebten, sei Dora Schüttes Strafe erlassen worden. Doch die Haft habe Spuren hinterlassen: Sie sei „ganz grau“ bei ihrer Heimkehr gewesen, wird Christa Baumgarten zitiert.
Daraufhin habe sich Dora Schütte einen Interzonenpass besorgt und sei unter dem Vorwand, Verwandte zu besuchen, mit ihrer Familie und einem Koffer in den Westen eingereist und blieb dort. Ihren Hof ließ sie in der DDR zurück.
Willi Schütte baute sich ein Leben in Suderwittingen in der BRD auf, rund 25 Kilometer vom Hof in Böckwitz in der DDR entfernt. Der ließ ihn in all den Jahren nicht los. „Das Thema Grenze war immer ein ganz großes Thema in unserer Familie“, sagte Astrid Heers, die Tochter von Willi Schütte.
Sie hatte die Tafel – gemeinsam mit Abigail Fagan aus dem Museumsvereins-Vorstandsteam – im Rahmen der Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit enthüllt. Oft seien sie in der Zeit der Teilung nach Zicherie gefahren, „um rüber zu gucken“, so Heers. Ihr Vater habe immer gesagt: „Die Grenze fällt – und ich erlebe das noch.“
Und so kam es tatsächlich: Nachdem sich die Grenze im November 1989 öffnete, konnten die drei Geschwister ihren Hof wieder sehen. Ohne ihre Mutter, denn Dora Schütte starb vor dem Mauerfall. Der Hof sei in einem schlechten Zustand gewesen, nachdem er mehrere Jahre unbewohnt gewesen und durch die LPG zur Schafhaltung genutzt worden sei. Dennoch sei die Freude des Wiedersehens groß gewesen.
Museum und Grenzlehrpfad
Und Hoferbe Willi Schütte? Der entschied sich dazu, ein Museum auf dem Gehöft einzurichten – auch, damit sich die Geschichte nicht wiederholen solle. „Ich freue mich, das heute so viele junge Leute dabei sind und unterstützen“, sagte Astrid Heers bei der Tafel-Präsentation mit Blick auf das Grenzmuseum Böckwitz-Zicherie und den zugehörigen Museumsverein. Übrigens: Auch für den Grenzlehrpfad außerhalb von Zicherie und Böckwitz, auf dem die Entwicklung der Grenzanlagen nachvollziehbar und auch ein Beobachtungsturm erhalten wurde (von dem aus bereits die Tagesthemen sendeten), hatte sich Willi Schütte eingesetzt und stellte sein Land dafür zur Verfügung.
Umgesetzt werden konnte das Projekt der Informations-Tafeln durch Fördergelder Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aus Spendenmitteln der Erbengemeinschaft Heimpel.
Nachdem die Tafeln enthüllt worden waren, dankten Verena Treichel und Abigail Fagan vom Museumsverein den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und erklärten, auch andere seien willkommen, ihre Geschichte im Grenzmuseum zu erzählen – auch Menschen, die in der DDR blieben.
tgr